Der Thüringer Zuwanderungs- und Integrationsbericht
Um Integrationspolitik zielgerichtet gestalten zu können, braucht es einen Überblick über den Stand von Zuwanderung und Integration. Der Thüringer Zuwanderungs- und Integrationsbericht (ZIB) 2019 stellte dafür erstmalig zu allen Handlungsfeldern vorhandene Daten zusammen und weist auch jene Bereiche aus, für die bislang kaum fundierte Aussagen getroffen werden können.
Mit dem Thüringer Zuwanderungs- und Integrationsbericht 2024 (PDF, nicht barrierefrei) wird diese Datensammlung fortgeschrieben. Sie umfasst neben Daten zur Zu- und Abwanderung, Zahlen aus den Bereichen Bildung, Arbeitsmarkt, Deutschförderung, gesellschaftliche Teilhabe, Vielfaltsorientierung, Antidiskriminierung, Gesundheit und Wohnen.
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Einschätzung des Integrationsklimas in Thüringen
Der SVR-Integrationsklima-Index (IKI) erfasst das Zusammenleben in verschiedenen Lebensbereichen in Deutschland aus Sicht von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Hierfür werden sowohl Erfahrungen als auch normative Haltungen zum Leben in (ethnisch) vielfältigen Gesellschaften, Einschätzungen zur Leistungsfähigkeit der verschiedenen Bereiche mit Hinblick auf diese Vielfalt und eigene Verhaltensweisen in diversitätsgeprägten Kontexten abgefragt. Der IKI als Mittelwert aus den erhobenen Daten wird in den vier Teilhabebereichen Nachbarschaft, Arbeitsmarkt, soziale Beziehungen und Bildung und insgesamt auf einer Skala von 0 (negativ) bis 100 (positiv) wiedergegeben.
Der IKI lag 2022 in Thüringen bei durchschnittlich 61 Punkten. Der IKI entwickelt sich grundsätzlich mit der Zeit positiv. Auch die zwischenzeitlich gewachsenen Wahrnehmungsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland haben sich bei der Befragung 2021/22 wieder angenähert. Betrachtet man die Ergebnisse für Thüringen, so ist ein leichter Aufwärtstrend zwischen 2020 und 2022 zu verzeichnen: Bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist der Index zwischen 2020 und 2022 um 2,1 IKI-Punkte gestiegen, bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund mit ca. 0,3 IKI-Punkten nur geringfügig (siehe Abbildung 1). Insgesamt schätzen Menschen ohne Migrationshintergrund das Integrationsklima negativer ein als Menschen mit Migrationshintergrund. In Thüringen belief sich dieser Unterschied 2022 auf 9,4 IKI-Punkte. Die größere Unzufriedenheit der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund zeigt sich aber auch bei vielen anderen vom Integrationsbarometer erfassten Themen (siehe z. B. Bildung, Abbildung 3).
Abbildung 1: Integrationsklima-Index (IKI) für Thüringen nach Jahren und Migrationsstatus
Indexwerte zwischen 0 (sehr negatives Integrationsklima) und 100 Punkten (sehr positives Integrationsklima)
Gewichtete Daten. Quelle: SVR - Integrationsbarometer. Darstellung und Berechnung nach RWI 2024 © Minor
Während der IKI von Menschen mit Migrationshintergrund in Thüringen sich kaum von dem in anderen Bundesländern unterscheidet (alle bei ca. 70 IKI-Punkten), fällt er bei der Gruppe der Menschen ohne Migrationshintergrund in Thüringen schlechter aus (60,5 IKI-Punkte, siehe Abbildung 2) als im Durchschnitt der ostdeutschen (64,4 IKI-Punkte) und der westdeutschen Bundesländer (69,4 IKI-Punkte). Die Erklärung hierfür sieht der SVR vor allem im geringeren Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Ostdeutschland und weniger Erfahrungen mit kultureller und ethnischer Vielfalt (SVR 2018, 2022b). Neben dem Lebensort wirken sich auch andere Faktoren wie der Kontakt zur jeweils anderen Gruppe (mit und ohne Migrationshintergrund), Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, und die Herkunftsregion auf die Wahrnehmung des Integrationsklimas aus (SVR 2022b). So könnten auch demografische Faktoren regionale Unterschiede begünstigen. Bei älteren Menschen ohne Migrationshintergrund fällt der IKI insgesamt betrachtet zum Beispiel negativer aus als bei jüngeren (SVR 2022b). Dies könnte sich angesichts der alternden Bevölkerung in Thüringen auch auf den Index im Bundesland auswirken.
Abbildung 2: Integrationsklima-Index für Thüringen im Vergleich zu west- und ostdeutschen Bundesländern nach Migrationsstatus 2022
Indexwerte zwischen 0 (sehr negatives Integrationsklima) und 100 Punkten (sehr positives Integrationsklima)
Gewichtete Daten. Quelle: SVR - Integrationsbarometer. Darstellung und Berechnung nach RWI 2024 © Minor
Betrachtet man den Integrationsklimaindex in den verschiedenen Teilhabebereichen, so zeigt sich eine besondere Diskrepanz zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Thüringen im Bereich „Nachbarschaft“ mit einer Differenz von 19,3 IKI-Punkten (siehe Abbildung 3). Während Menschen mit Migrationshintergrund diesen Bereich am positivsten einschätzen (72,5 IKI-Punkte), schätzen ihn Menschen ohne Migrationshintergrund am negativsten ein (69,5 IKI-Punkte). Hier fließen Antworten auf Fragen dazu ein, wie häufig Kontakt untereinander in der Nachbarschaft besteht, wie das Zusammenleben in der Nachbarschaft wahrgenommen wird und wie hoch die Bereitschaft wäre, in ethnisch und kulturell diverse Nachbarschaften zu ziehen. Allein der relativ hohe Anteil von Menschen ohne Migrationshintergrund, die in Thüringen nicht in einer Nachbarschaft von Menschen mit Migrationshintergrund leben, während dies andersherum kaum möglich ist, kann hier also einen wesentlichen Grund für die Differenz ausmachen.
Auffällig ist, dass der Lebensbereich „Soziale Beziehungen“ im Vergleich zu dem der „Nachbarschaft“ der Bereich ist, der von beiden Gruppen sehr positiv und mit einer geringen Differenz von 2,8 IKI-Punkten eingeschätzt wird. Dies spricht dafür, dass tatsächlich bestehende soziale Beziehungen im Freundes- und Bekanntenkreis positiver wahrgenommen werden als eher abstraktes und anonymisiertes Zusammenleben in der Nachbarschaft. Der Bereich, der von beiden Gruppen negativ eingeschätzt wird, ist der der Bildung (63,7 IKI bei Personen mit und 56,5 IKI bei Personen ohne Migrationshintergrund), der sich vor allem auf Wahrnehmungen und Erfahrungen zum gemeinsamen Besuch von Schulen, Universitäten und Ausbildungsstellen bezieht. Hier ist ein Zusammenhang mit bestehender Integration in diesen Bildungsinstitutionen zu vermuten.
Abbildung 3: Integrationsklima-Index (IKI) in verschiedenen Lebensbereichen
Indexwerte zwischen 0 (sehr negatives Integrationsklima) und 100 Punkten (sehr positives Integrationsklima)
Gewichtete Daten. Quelle: SVR - Integrationsbarometer. Darstellung und Berechnung nach RWI 2024 © Minor
Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund
Abbildung 4: Kontakt zu Menschen mit Migrationshintergrund im Freundes- und Bekanntenkreis im Jahr 2021/22 nach Bundesland[1]
Gewichtete Daten. Teilstichprobe: Personen ohne Migrationsgeschichte. Quelle: SVR - Integrationsbarometer. Darstellung und Berechnung nach RWI 2024 © Minor
[1] Die Frageformulierung im Integrationsbarometer verwendet die Bezeichnungen „Migranten“ und „Deutsche“. Die Definition von Migranten entspricht jedoch der von Menschen mit Migrationshintergrund, sodass wir auch diesen Begriff zur besseren Vergleichbarkeit hier verwenden.
In Thüringen geben Menschen ohne Migrationsgeschichte im Vergleich zum Bundesdurchschnitt vergleichsweise selten an, Kontakt zu Menschen mit Migrationshintergrund im Freundes- und Bekanntenkreis zu haben (siehe Abbildung 4). Weniger als die Hälfte der Befragten (42 %) geben an, gelegentlich bis sehr oft solche Kontakte zu haben. Die anderen ca. 57 % haben nur selten oder nie Kontakt oder geben sogar an, es gebe keine Migrantinnen und Migranten (siehe Fußnote 1). Damit fällt der Kontakt aus der Wahrnehmung der Menschen ohne Migrationsgeschichte in Thüringen etwas geringer aus als in anderen ostdeutschen Bundesländern (48,8 % haben gelegentlich bis sehr oft Kontakt) und wesentlich geringer als in westdeutschen Bundesländern (70,8 % haben gelegentlich bis sehr oft Kontakt).
Der Unterschied zu den westdeutschen Bundesländern lässt sich wohl vor allem durch die Bevölkerungsstruktur der Menschen mit Migrationsgeschichte erklären: Zum einen ist ihr Anteil in ostdeutschen Bundesländern geringer als in westdeutschen Bundesländern und sie leben noch stärker in städtischen Gebieten geballt (siehe auch Datenvorschau von April 2024: bimf.thueringen.de/integration/zib).
Zudem ist Thüringen wie auch andere ostdeutsche Bundesländer vor allem von junger Zuwanderung geprägt, während in westlichen Bundesländern ein größerer Anteil der Bevölkerung mit Migrationsgeschichte schon seit längerem in Deutschland oder schon hier geboren ist. Menschen, die erst seit kurzem in Deutschland sind, haben oft noch keine guten Bedingungen, um Kontakt zur eingesessenen Bevölkerung aufzubauen: Räumliche Isolation, z. B. durch das Wohnen in Erstaufnahmeeinrichtungen, Sprachbarrieren und fehlende Begegnungsräume bei der Arbeit, im Bildungskontext u. a. hemmen die Kontaktaufnahme in der ersten Phase nach der Zuwanderung. Aber auch gesellschaftliches Klima wirkt sich auf die Einschätzung der Kontakte aus.
Abbildung 5: Kontakt zu Menschen ohne Migrationshintergrund[1] im Freundes- und Bekanntenkreis im Jahr 2021/22 nach Bundesland
Gewichtete Daten. Teilstichprobe: Personen mit Migrationsgeschichte. Quelle: SVR - Integrationsbarometer. Darstellung und Berechnung nach RWI 2024 © Minor
[1] Siehe Fußnote 1: Die Definition von „Deutschen“ – der Bezeichnung, die in der Fragestellung genutzt wird - entspricht der von Menschen ohne Migrationshintergrund.
Auffallend ist, dass andersherum Menschen mit Migrationshintergrund häufiger angeben, Kontakt zu Menschen ohne Migrationshintergrund zu haben und die Befragungsergebnisse für Thüringen und andere Bundesländer hier weniger stark auseinandergehen (siehe Abbildung 5). Fast dreiviertel aller befragten Zugewanderten in Thüringen geben an, gelegentlich, oft oder sehr oft Kontakt zu Deutschen im Freundes- und Bekanntenkreis zu haben, in ostdeutschen Bundesländern liegt dieser Anteil im Schnitt bei ca. 78 %, in westdeutschen Bundesländern bei 83,4 %. Der große Wahrnehmungsunterschied zur Bevölkerung ohne Migrationsgeschichte ist auffallend. Ausschlaggebend hierfür könnte sein, dass für Menschen, die neu an einem Ort ankommen, Kontakte zu Menschen, die bereits vor Ort leben, angesichts der noch kleinen sozialen Netzwerke eher als bedeutend wahrgenommen werden als andersherum, wenn diese Kontakte im Vergleich zu engeren sozialen Beziehungen in etablierten Netzwerken weniger ins Gewicht fallen. Im Allgemeinen spiegelt die unterschiedliche Wahrnehmung aber auch die tendenziell schlechtere Wahrnehmung des Integrationsklimas unter der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (siehe Abbildung 1). Frühere Ergebnisse des Integrationsbarometers haben gezeigt, dass sich mangelnde Kontakte untereinander auch negativ auf das Integrationsklima bzw. dessen Wahrnehmung auswirken (SVR 2018).
Institutionsvertrauen
Wie sehr es öffentlichen Institutionen gelingt, sich für Menschen mit Migrationsgeschichte zu öffnen, lässt sich zum einen an deren Teilhabe, aber auch an deren Vertrauen in die Institutionen nachweisen. Vertrauen in öffentliche Institutionen ist ein Indiz dafür, dass diese den Bedarfen der Menschen im Sinne einer fairen Teilhabeförderung entgegenkommen. Vertrauen ist aber auch ein sehr subjektives Empfinden, das von gesellschaftlichen Debatten und Medien genauso beeinflusst werden kann wie von eigenen Erfahrungen. Das Vertrauen in öffentliche Institutionen bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund wird vom Integrationsbarometer des SVR erfasst. Dafür werden Menschen befragt, wie sehr sie ausgewählten Institutionen vertrauen. Auffallend ist, dass Menschen ohne Migrationshintergrund bei allen Institutionen ein geringeres Vertrauen vorweisen als Menschen mit Migrationshintergrund.
Besonders stark fällt dieser Unterschied beim Vertrauen in Bundestag (27,5 Prozentpunkte) und in die Bundesregierung (27,2 Prozentpunkte) aus (siehe Abbildung 6). 19,4 % der Bevölkerung mit und 50,2 % der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund geben an, dem Bundestag eher oder gar nicht zu vertrauen. Bei der Bundesregierung geben 22,7 % der Personen mit Migrationshintergrund an, der Bundesregierung „eher nicht” oder „gar nicht” zu vertrauen. Unter Menschen ohne Migrationshintergrund sind es hingegen ebenfalls die Hälfte der Befragten (49,9 %), die der Regierung kein Vertrauen zusprechen. Dies spiegelt eine allgemeine Entwicklung in Deutschland wider, bei der im Kontext der Krisen der vergangenen Jahre (Pandemie, Krieg, Inflation) das Vertrauen in Politik und Institutionen gelitten hat (siehe Best et al. 2023). Kommunale politische Institutionen sind hingegen weniger stark von einem Vertrauensdefizit betroffen: Hier äußern nur 10,4 % der Bevölkerung mit und 27,4 % der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund ihr Misstrauen.
Abbildung 6: Vertrauen in politische Institutionen nach Migrationsstatus in Thüringen 2022
Gewichtete Daten. Teilstichprobe: Personen mit Migrationsgeschichte. Quelle: SVR - Integrationsbarometer. Darstellung und Berechnung nach RWI 2024 © Minor
Besonders groß ist das Vertrauen beider Gruppen in die Polizei (siehe Abbildung 7) und auch in die Justiz. Hier sind die Unterschiede zwischen der Wahrnehmung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund am geringsten.
Abbildung 7: Vertrauen in Justiz und Polizei nach Migrationsstatus in Thüringen 2022
Gewichtete Daten. Teilstichprobe: Personen mit Migrationsgeschichte. Quelle: SVR - Integrationsbarometer. Darstellung und Berechnung nach RWI 2024 © Minor
Beim Gesundheitssystem und beim öffentlichen Schulwesen (siehe Abbildung 8) fällt das Vertrauen beider Gruppen größer aus als beim Bundestag und der Bundesregierung. Auch die Unterschiede zwischen der Wahrnehmung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sind hier etwas geringer, liegen aber dennoch noch bei rund 20 Prozentpunkten.
Ein größeres Vertrauen von Eingewanderten in öffentliche Institutionen als von Nichteingewanderten zeigen auch andere Befragungsergebnisse, so z. B. die IAB-SOEP-BAMF-Befragung von Geflüchteten (Maddox 2024). Hieraus ergibt sich, dass das Vertrauen von Geflüchteten in öffentliche Institutionen auch innerhalb der Gruppe der Zugewanderten besonders hoch ist. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass für Zugewanderte offenbar die politischen Systeme in ihren Herkunftsländern als Referenzrahmen für ihre Bewertung der öffentlichen Institutionen in Deutschland sehen: „Je weniger demokratisch dieses vor dem Zuzug nach Deutschland war, desto höher fällt das Institutionenvertrauen aus“ (ebd). Wenn ein großer Teil der eingewanderten Bevölkerung geflohen ist, wie in Thüringen, liegt es demnach nahe, dass auch die Vertrauenswerte der Bevölkerung mit Migrationshintergrund besonders positiv ausfallen.
Abbildung 8: Vertrauen in das Gesundheitssystem und das öffentliche Schulwesen nach Migrationsstatus in Thüringen 2022
Gewichtete Daten. Quelle: SVR - Integrationsbarometer. Darstellung und Berechnung nach RWI 2024 © Minor
Quellen
Best, V. / Decker, F. / Fischer, S. / Küppers, A., 2023: Demokratievertrauen in Krisenzeiten. Wie blicken die Menschen in Deutschland auf Politik, Institutionen und Gesellschaft? Friedrich Ebert Stiftung.
Maddox, A., 2024: Institutionenvertrauen Geflüchteter in Deutschland (Kurzanalyse 02|2024). Nürnberg. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. https://doi.org/10.48570/bamf.fz.ka.02/2024.d.04/2024.institutionenvertrauen.1.0 (21.06.2024).
[SVR] Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, 2018: Stabiles Klima in der Integrationsrepublik Deutschland. SVR-Integrationsbarometer 2018. Berlin.
[SVR] Sachverständigenrat für Integration und Migration, 2022b: Integrationsklima 2022: Leicht verbessert mit einzelnen Eintrübungen. SVR-Integrationsbarometer 2022. SVR-Bericht 2022-1. Berlin.
[RWI] Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (RWI), 2024: Daten des SVR-Integrationsbarometer. Rohdaten des SVR bereitgestellt RWI. Sonderauswertung (14.06.2024).
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Hintergrund: Prognostizierter Fachkräftemangel in Thüringen
Der demographische Wandel in Thüringen führt zur Überalterung und zum Schrumpfen der Bevölkerung und dadurch zu einem Arbeits- bzw. Fachkräftemangel. So sieht bspw. eine Studie der Bertelsmann Stiftung voraus, dass die Thüringer Bevölkerungszahl von 2020 bis 2040 um 10,9 Prozent auf knapp 1,9 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner sinken wird (Klug et al. 2024). Bereits jetzt zeigt sich in den Daten der Bundesagentur für Arbeit, dass Thüringen, genauso wie Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wegen des demografischen Wandels zwischen 2022 und 2023 Tausende Beschäftigte verliert – in Thüringen waren es innerhalb dieses Jahres 3.800 – und diesen Verlust nicht wie andere Bundesländer durch Zuwanderung ausgleichen kann (SZ 2024). Eine Studie der gws und des ifo-Instituts prognostiziert, dass bis 2035 in Thüringen 250.000 Arbeitskräfte fehlen werden, ein Defizit, das nicht allein durch die Ausschöpfung noch vorhandener Potenziale, z. B. durch die Wiedereingliederung von Arbeitslosen oder stärkere Erwerbseinbindung von Frauen behoben werden kann (Bernardt et al. 2023).
Beschäftigte ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Thüringen
Bereits jetzt spielen ausländische Beschäftigte eine wichtige Rolle, um diesem Defizit etwas entgegenzusetzen. Der Beschäftigungszuwachs in Thüringen (2013–2022) war laut IAB insgesamt vor allem auf ausländische Beschäftigte zurückzuführen (Leclerque/Fritzsche 2024). 2023 waren in Thüringen 49.013 Personen ohne deutschen Pass sozialversicherungspflichtig beschäftigt und somit fast vier Mal mehr als 2013. Die junge Bevölkerungsstruktur der Eingewanderten in Thüringen birgt außerdem ein hohes Potenzial, den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft langfristig zu stärken (siehe oben Auszug „Zu- und Abwanderung).
Der Arbeitsmarkt und die Wirtschaft Thüringens sind bereits jetzt auf Zuwanderung angewiesen. Dieser Bedarf wird aufgrund des demographischen Wandels in den nächsten Jahren noch steigen, und zwar in Tätigkeiten aller Anforderungsniveaus. Es ist daher wichtig, die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Thüringen attraktiv für Zuwandernde und bereits Eingewanderte zu gestalten. Gute Arbeitsbedingungen fangen bei einer fairen Bezahlung an: Es gibt allerdings bereits jetzt Gehaltsunterschiede nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen Eingewanderten und Nichteingewanderten: So entsteht der sog. „Migrant-Pay-Gap“. Auch eine qualifikationsadäquate Beschäftigung ist ausschlaggebend für langfristig attraktive Arbeitsbedingungen.
Beschäftigtenzahlen nach Anforderungsniveaus
Die meisten Beschäftigten ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind als Fachkräfte oder Helfende beschäftigt.[1] Auffällig ist der deutlich höhere Anteil an Zugewanderten in Helfertätigkeiten im Vergleich zu den deutschen Beschäftigten und komplementär der geringe Anteil an Zugewanderten in Beschäftigungen auf Spezialistinnen- und Spezialisten-Niveau. Dies geht wohl auf zwei Gründe zurück: 1) Bereits jetzt fehlen in diesen Bereichen so viele Beschäftigte, dass auf ausländische Erwerbstätige zurückgegriffen wird. 2) Obwohl ein zunehmend hoher Anteil der eingewanderten Bevölkerung einen Hochschulabschluss hat, sind diese häufig unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt, was unter anderem auf die fehlende oder langsame Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse zurückzuführen ist (Leclerque/Fritzsche 2024). Zum Beispiel arbeiten 53,4 % aller zugewanderten und nur 12,1 % aller deutschen Frauen in Tätigkeiten auf Helferniveau. Unter den Expertinnen und Experten, dem höchsten Anforderungsniveau, sind hingegen prozentual relativ viele Zugewanderte und unter den zugewanderten Frauen sogar ebenso viele wie unter den deutschen Frauen (rund 13 %) (siehe Abbildung 1).
[1] Die Bundesagentur für Arbeit strukturiert und gruppiert Berufe in der „Klassifikation der Berufe“ u. a. anhand ihres Anforderungsniveaus, das die Komplexität der beschriebenen Tätigkeit ausweist.
- Anforderungsniveau 1 „Helfer- und Anlerntätigkeiten“: Berufe mit einfachen, wenig komplexen Tätigkeiten, die meist keine oder nur geringe spezifische Fachkenntnisse erfordern.
- Anforderungsniveau 2 „Fachlich ausgerichtete Tätigkeiten“: Komplexere und stärker fachlich ausgerichtete Berufe, für die häufig fundierte Fachkenntnisse und Fertigkeiten wie der Abschluss einer mehrjährigen Berufsausbildung erforderlich sind.
- Anforderungsniveau 3 „Komplexe Spezialistentätigkeiten“: Deutlich komplexer als im Anforderungsniveau 2, erfordern Spezialkenntnisse und -fertigkeiten sowie häufig die Befähigung zur Bewältigung gehobener Fach- und Führungsaufgaben.
- Anforderungsniveau 4 „Hoch komplexe Tätigkeiten/Experten“: Berufe, die ein hohes Kenntnis- und Fertigkeitsniveau erfordern, in der Regel mit einer Hochschulausbildung und Berufserfahrung verbunden.
Abbildung 1: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Thüringen nach Geschlecht, Anforderungsniveau und Nationalität
Stichtag: 31.12.2022. Eigene Darstellung nach Bundesagentur für Arbeit 2024 © Minor
Migrant-Gender-Pay-Gap
Der Migrant-Gender-Pay-Gap bezieht sich auf Gehaltsunterschiede zwischen Beschäftigten mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit und Männern und Frauen. Er wird im Folgenden gemessen, indem das Medianentgelt[2] nach Geschlecht, Nationalität und Anforderungsniveau mit dem Medianentgelt des deutschen Mannes verglichen wird. Indem neben Geschlecht und Nationalität auch das Anforderungsniveau in die Analyse miteinbezogen wird, wird ausgeschlossen, dass sich Gehaltsunterschiede durch ein unterschiedliches Anforderungsniveau der Tätigkeiten erklären lassen.
Studien von Minor zum deutschlandweiten Migrant-Gender-Pay-Gap zeigen, dass die Gehaltsunterschiede je nach Branche und Region variieren (Spitaleri 2022; Dülken/Shibeshi 2024). So sind in Ostdeutschland die Gehälter generell niedriger als in Westdeutschland, dafür aber die Lohnunterschiede, sowohl zwischen Männern und Frauen als auch zwischen den Staatsangehörigkeiten, auch geringer (Spitaleri 2022). Bei den deutschlandweiten Zahlen von 2020 deutete sich ein Trend an, dass die Gehaltsunterschiede sich bei niedrigeren Gehältern verringern (Spitaleri 2022). Generell sind eingewanderte Frauen häufig besonders stark benachteiligt. Demnach verdienen im Bundesdurchschnitt im Jahr 2021 Frauen ohne deutschen Pass, die als Fachkräfte arbeiten, 20,7 Prozent weniger als ihre männlichen deutschen Kollegen, bei Männern ausländischer Staatsangehörigkeit beläuft sich dieser Unterschied auf 19,3 Prozent. Frauen aus den Asylherkunftsländern verdienten sogar 33,9 Prozent weniger als deutsche Männer im Fachkräftebereich (eigene Berechnungen von Minor nach Daten der Bundesagentur für Arbeit).
Das Ergebnis für Thüringen beruhend auf den Daten der Bundesagentur für Arbeit von 2022 deutet ebenfalls auf eine Benachteiligung eingewanderter Frauen auf dem Arbeitsmarkt hin.
Gemessen an dem Medianentgelt des deutschen Mannes zeigt sich, dass auf Fachkräfteanforderungsniveau der größte Migrant-Gender-Pay-Gap existiert: Weibliche Fachkräfte ohne deutschen Pass verdienten 22,6 % weniger als ihre männlichen Kollegen mit deutschem Pass (siehe Abbildung 2). Wie auch in der deutschlandweiten Minor-Studie (Dülken/Shibeshi 2024) beschrieben, zeigt sich auch in Thüringen, dass die Staatsangehörigkeit einen größeren Einfluss auf Lohnunterschiede hat als geschlechterspezifische Gehaltsunterschiede. Das bedeutet, dass sowohl Frauen als auch Männer ohne deutsche Staatsangehörigkeit deutlich weniger verdienen als deutsche Staatsangehörige. Eine Ausnahme bilden Spezialist*innen- und Expert*innentätigkeiten: Hier ist der Gehaltsunterschied zwischen deutschen Männern und Frauen größer als zwischen deutschen und ausländischen Männern. Anders als im deutschlandweiten Trend (Spitaleri 2022), wo Lohnunterschiede mit höherem Anforderungsniveau zunehmen, zeigt sich in Thüringen ein gegenläufiger Trend: Die größten Gehaltslücken finden sich im Helfer- und Fachkräftebereich.
[2] Das Medianeinkommen (auch mittleres Einkommen) ist das Einkommen, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt. Würde man die Bevölkerung nach der Höhe ihres Einkommens sortieren und dann zwei gleich große Gruppen bilden, würde die Person, die genau in der Mitte dieser Verteilung steht das Medianeinkommen beziehen. Das Medianeinkommen ist robuster gegenüber Ausreißern und wird daher oftmals dem Durchschnitt vorgezogen.
Abbildung 2: Medianentgelt in Thüringen nach Geschlecht, Anforderungsniveau und Nationalität
Für die Anteile in Klammern wurden die deutschen Männer nach Anforderungsniveau ausgewählt. Stichtag: 31.12.2022. Eigene Darstellung nach Bundesagentur für Arbeit 2024 © Minor
Dabei macht es auch einen Unterschied, woher ausländische Beschäftigte eingewandert sind: Schaut man sich beispielsweise die Gehaltsunterschiede bei Tätigkeiten mit dem Anforderungsniveau „Fachkraft“ an, so ist der Gehaltsunterschied bei Frauen aus den Ländern der EU-Osterweiterung im Vergleich zu deutschen Männern höher (24,0 %) als bei Frauen aus Drittstaaten (17,5 %). Unter den Männern verdienen Fachkräfte aus Asylherkunftsländern am wenigsten (d. h. 17,3 % weniger als Deutsche) (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Medianentgelt in Thüringen nach Geschlecht und Anforderungsniveau für Fachkräfte[3]
Für die Anteile in Klammern wurden die deutschen Männer nach Anforderungsniveau als Referenzwert ausgewählt. Stichtag: 31.12.2022. Eigene Darstellung nach Bundesagentur für Arbeit 2024 © Minor
[3] Aufgrund von einer zu geringen Fallzahl, ist das Medianentgelt von Frauen aus Asylherkunftsländern auf Fachkräfteebene nicht ausgewiesen.
Quellen
Bernardt, F. / Wolter, M. I. / Glöckner, E. E. / Knoll, S. / Ragnitz, J., 2023: Herausforderungen und Chancen im demografischen Wandel. Arbeitsmarktentwicklung in Thüringen – Projektion bis 2035. Eine Studie der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) und ifo Dresden im Auftrag des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (TMASGFF) in Kooperation mit der Thüringer Agentur für Fachkräfteentwicklung (ThAFF).
Dülken, B. / Shibeshi, S., 2024: Ungleiche Bezahlung in Engpassberufen
Die unsichtbaren Grenzen von Herkunft und Geschlecht. Minor Kontor / IQ Fachstelle Einwanderung und Integration. https://minor-kontor.de/bezahlung-engpassberufe/ (06.06.2024).
Klug, Petra; Amsbeck, Hannah; Loos, Reinhard; Weber, Jakob, 2024: Bevölkerungsvorausberechnung 2040 im Wegweiser Kommune: Länderbericht Thüringen. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.
Leclerque, C. / Fritzsche, B., 2021: Entwicklung und Struktur der Beschäftigung von Ausländer*innen in Thüringen. IAB-Regional. IAB Sachsen-Anhalt-Thüringen 2/2024. https://doku.iab.de/regional/SAT/2024/regional_sat_0224.pdf (05.06.2024).
Spitaleri, L., 2022: Der Migrant-Gender-Pay-Gap. Sind die Gehälter niedrig, trifft es alle. Minor Kontor / IQ Fachstelle Einwanderung. https://minor-kontor.de/migrant-gender-pay-gap/ (06.06.2024).
[SZ] Süddeutsche Zeitung, 2024: Drei ostdeutsche Länder verlieren Tausende Beschäftigte. 26.04.2024. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/arbeitsagentur-drei-ostdeutsche-laender-verlieren-tausende-beschaeftigte-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240426-99-815221 (05.06.2024).
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Ausländerinnen und Ausländer nach Landkreisen
Abbildung 1: Anteil an Ausländerinnen und Ausländern nach Landkreis 2022 (Stichtag: 31.12.2022)
Darstellung nach Thüringer Landesamt für Statistik 2024 © Minor
Die höchsten Anteile an Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit (über 10 Prozent) gibt es in den kreisfreien Städten Suhl, Jena und Gera und der Landeshauptstadt Erfurt. In Suhl, der bevölkerungsmäßig kleinsten der kreisfreien Städte Thüringens, befindet sich die größte Erstaufnahmeeinrichtung in Thüringen. Im gesamten Bundesland liegt der Anteil an Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit bei 7,6 Prozent, was deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von 15 Prozent liegt.
Wanderungsbewegungen 2022
Tabelle: Wanderungsbewegungen in Thüringen über die Landesgrenzen 2022 (Stichtag: 31.12.2022)
Darstellung nach Thüringer Landesamt für Statistik 2024 © Minor
Betrachtet man das Verhältnis von Zu- und Fortzügen, ergibt sich insgesamt ein positiver Wanderungssaldo: Es sind also mehr Personen nach Thüringen gezogen, als Personen das Bundesland verlassen haben. Diese positive Bilanz geht auf Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft zurück. Betrachtet man nur Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, fällt der Wanderungssaldo negativ aus. Auffallend ist die verhältnismäßig hohe Zahl von Zuzügen ausländischer Frauen. Dies ist unter anderem mit der Fluchtbewegung aus der Ukraine ab Frühjahr 2022 zu erklären, die insbesondere von Frauen und Kindern geprägt ist. Die meisten Fortzüge von Ausländerinnen und Ausländern führen ins Ausland. Ein Drittel der ausländischen Personen, die Thüringen verlassen, wandern jedoch in andere Bundesländer ab (33,5 % aller Fortzüge ausländischer Personen).
Abbildung 2: Wanderungssalden für Thüringen 2022 nach Herkunft und Altersgruppen (Stichtag: 31.12.2022)
Darstellung nach Thüringer Landesamt für Statistik 2024 © Minor
Thüringen ist auf die Zuwanderung der Ausländerinnen und Ausländern angewiesen, um einem prognostizierten Bevölkerungsrückgang entgegenzuwirken (siehe aktuelle Daten aus dem Wegweiser Kommune der Bertelsmann Stiftung). Der Wanderungssaldo (Zu- und Fortzüge) für Ausländerinnen und Ausländer ist über alle Alterskategorien hinweg positiv mit dem größten Zuwachs in der Altersgruppe der 20–25-Jährigen. Bei den Deutschen hingegen zeigt sich ein auffällig hoher, negativer Saldo an 20–30-Jährigen, was sich vermutlich mit einer Ausbildungs- und Arbeitsplatzorientierung aus Thüringen heraus erklären ließe.
Abbildung 3: Wanderungssalden für Thüringen nach Bundesländern[1] (Durchschnitt 2018-2022, Stichtag: jeweils 31.12.)
Darstellung nach Thüringer Landesamt für Statistik 2024 © Minor
[1] Anmerkung: BW = Baden-Württemberg, BY = Bayern, HB = Bremen, HH = Hamburg, HE = Hessen, NI = Niedersachsen, NW = Nordrhein-Westfalen, RP = Rheinland-Pfalz, SL = Saarland, SH = Schleswig-Holstein, BE = Berlin, BB = Brandenburg, MV = Mecklenburg-Vorpommern, SN = Sachsen, ST = Sachsen-Anhalt.
Betrachtet man die Wanderungsbewegungen zwischen Thüringen und den anderen Bundesländern, fällt auf, dass die größten Abwanderungen von Ausländerinnen und Ausländern aus Thüringen in das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen und das größte Bundesland Bayern erfolgen. Unter den Deutschen sind hingegen Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern beliebte Abwanderungsbundesländer. Die meisten Zuzüge von Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft erfolgen aus Baden-Württemberg.
Abbildung 4: Wanderungssalden für Wanderungen zwischen Thüringen und den anderen Bundesländern nach Staatsangehörigkeit (Stichtag: jeweils 31.12.)
Darstellung nach Thüringer Landesamt für Statistik 2024 © Minor
Im Verlauf der Jahre 2018 bis 2022 stieg der Wanderungssaldo für Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft etwas an. Das Verhältnis zwischen Zu- und Fortzügen für Wanderungen zwischen Thüringen und den anderen Bundesländern war also bei Deutschen zuletzt ausgeglichener als in den Jahren zuvor. Für Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft fiel der Wanderungssaldo im Jahr 2020 negativ als in den Jahren zuvor und danach aus: Während des ersten Pandemiejahres zogen also mehr Ausländerinnen und Ausländer aus Thüringen in andere Bundesländer als umgekehrt.
Für das Jahr 2023 liegen derzeit noch keine vollständigen Daten zur aktuellen Entwicklung der Wanderungsbewegungen vor. Vorläufige Jahresergebnisse für 2023 zeigen jedoch einen gesunkenen Wanderungssaldo im Vergleich zu 2022, was vor allem auf weniger Auslandszuzüge zurückzuführen ist (TLS 2023; Statistisches Bundesamt 2024). Kombiniert mit einem Geburtendefizit führte dies zu einem leichten Bevölkerungsrückgang (TLS 2023). Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Analysen vorläufig sind und erst bei Vorliegen der Daten für den Gesamtjahreszeitraum Schlussfolgerungen gezogen werden sollten.
Die Betrachtung von Wanderungssalden allein verrät keine Informationen über die Motive für Zu- und Abwanderung – hierfür sind Umfragedaten nötig. Eine aktuelle Publikation (Loschert 2024), in der der Forschungsstand zu Zu- und Abwanderungsmotiven zusammengefasst wird, zeigt, dass wichtigste Zuzugsgründe meist beruflicher Natur sind, bei den Abwanderungsgründen dominieren hingegen psychosoziale Gründe, wie mangelnde soziale Integration. Diese Ergebnisse verdeutlichen die Relevanz einer effektiven und ganzheitlichen Politik, um nach Thüringen Zugewanderte auch nachhaltig in die Gesellschaft zu integrieren.
Quellen
- Kalter, Frank; Foroutan, Naika; Nowicka, Magdalena; Hunkler, Christian; Schiefer, David; Harder, Niklas; Franke, Janna; Tschöp, David (2019): Thüringer Zuwanderungs- und Integrationsbericht 2019. Erfurt: Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz (TMMJV).
- Klug, Petra; Amsbeck, Hannah; Loos, Reinhard; Weber, Jakob (2024). Bevölkerungsvorausberechnung 2040 im Wegweiser Kommune: Länderbericht Thüringen. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.
- Loschert, Franziska (2024). Auf Wiedersehen? Analyse der Daten- und Forschungslage zu Ab- und Rückwanderungsprozessen von zugewanderten aus/nach Deutschland. Minor Wissenschaft im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. In Veröffentlichung.
















